Edward auf Reisen by Craig Lancaster

Edward auf Reisen by Craig Lancaster

Autor:Craig Lancaster [Lancaster, Craig]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-12-04T05:00:00+00:00


Als wir das Motel erreichen, herrscht ein regelrechter Schneesturm (ich liebe das Wort »Schneesturm«). Die Flocken sind dick und nass und kleben sich ebenso schnell an die Windschutzscheibe, wie meine Scheibenwischer sie wegwischen. Auf den Straßen von Cheyenne Wells liegt bald eine Schneeschicht, und der Cadillac DTS schlingert, als ich auf den Parkplatz einbiege.

Im Motel erwartet uns die Besitzerin.

»Ich habe nach Ihnen Ausschau gehalten«, sagt sie. »Ich habe doch gesagt, dass ein Sturm aufzieht.«

Ich fahre mir mit der Hand über den Kopf und spüre, wie der Schnee in meinem Haar schmilzt. Kyle stampft auf die Fußmatte hinter der Eingangstür, um den Schnee von den Schuhen zu schütteln.

»Das kam ohne jede Vorwarnung«, sage ich.

»Nein«, erwidert sie. »Ich habe Sie gewarnt. Ich habe gesagt: ›Ein Sturm zieht auf.‹ Noch klarer hätte ich mich nicht ausdrücken können.«

Wiederum spielen ihre Augen dieses Spiel mit mir. Jedes Mal, wenn sie spricht, funkeln sie – zumindest sieht es so aus, denn ich weiß, dass es eine Täuschung durch das Licht ist. Und ihr Mund zieht so kleine Falten, als würde sie etwas verschweigen – es irritiert mich, dass ich nicht erkennen kann, ob es ein freundliches Lächeln ist oder ein verächtliches Grinsen, weil ich so dumm war, mich von einem Sturm erwischen zu lassen.

»Ich glaube, ich habe mir Ihren Namen nicht gemerkt«, sage ich zu ihr. Kyle zieht an meiner Jacke und bittet um den Zimmerschlüssel, weil es »langweilig« sei. Ich gebe ihm den Schlüssel und er hüpft den Flur hinunter.

»Ich glaube, den habe ich auch nicht gesagt«, erwidert sie. »Ich heiße Sheila Renfro.«

Sie streckt ihre rechte Hand vor, die ich mit meiner rechten fasse. Ihre Finger fühlen sich rau und trocken an. Sie schüttelt kräftig meine Hand, dreimal hoch und runter, dann lässt sie los.

»Ich glaube, ich war als kleiner Junge schon mal in diesem Motel, mit meinem Vater.«

»Es ist das einzige Motel der Stadt. Wenn Sie in Cheyenne Wells waren, waren Sie hier.«

»Das war 1978. Ich war neun Jahre alt.«

»Wann 1978?«

»Im Juni.«

»Welcher Tag im Juni?«

»Das weiß ich nicht mehr.«

»Dann war ich entweder zwei oder drei Jahre alt. Ich bin am 15. Juni 1975 geboren, also hängt es davon ab, wann Sie hier waren.«

»Als ich hier war, wurde das Motel von einem großen, fetten Mann mit weißem Haar geführt.« »Das war mein Vater. Er war nicht fett. Er war gemütlich rundlich. Er ist jetzt unter der Erde.«

»Er und seine Frau hatten ein kleines Mädchen.«

»Das war ich.«

»Das waren Sie?«

Sie kneift ihre blauen Augen ein Stück zusammen. »Das habe ich doch gerade gesagt.«

»Dann sind wir uns also schon begegnet.«

»Ich schätze, ja.«

»Erinnern Sie sich an mich?«

»Nein, was denken Sie denn? Ich war ja noch ein kleines Mädchen. Außerdem muss man sich nur an wenige Leute erinnern. Denken Sie, ich kann mich an jeden erinnern, der je in dieses Motel gekommen ist? Gut, ich könnte alle Eintragungen durchsehen und überprüfen, wer da gewesen ist, aber das bedeutet nicht, dass ich mich an die Leute erinnere.«

Ich möchte am liebsten im Boden versinken (natürlich nicht wortwörtlich, das ist eine Redewendung). Ständig sage ich hier dumme Dinge, und Sheila Renfro weist mich ständig darauf hin, dass sie dumm sind.



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